Societys, Partys, Vorlesungen und Coventry
Die letzten Tage waren gut gefüllt, so dass schon viel zu früh das altbekannte Blogphänomen zu Tage trat, mit dem Schreiben nicht zu nach zu kommen. Aber der Reihe nach.
Am Donnerstag und Freitag der Welcome Week war die Society Fair, wo sich viele der über 400 Societies vorstellten. Societies, sind thematische Studentengruppen, welche mit der Guild of Students affiliert sind. Die Guild of Students ist so eine Art ASTA / STURA, die die Studentenvertretung ausübt und sonst vor allem Partys veranstaltet. Und dann gibt es halt noch ungefähr jede erdenkliche Society (im Namen häufig Soc abgekürzt): die TeaSoc, die CoffeeSoc, SkiDivingSoc, Humans-vs.-Zombies-Soc, Heavy-Metall-Soc, House-Soc, Jazz-and-Blues-Soc, Bowling-Soc, Vegetarian-and-Vegan-Soc, parteinahe Societys, Kricket-Soc, Dance-Soc, Latin-Dance-Soc, Blood-Donation-Soc, Mountaineering-Soc, Philosophy-Soc, Real Ale and Cider-Soc, usw. Das Angebot ist also recht umfassend, und es ist nahezu unmöglich, keine Society für die eigenen Interessen zu finden. Ich bin jedenfalls der Mountaineering Society (Bergsteigen) beigetreten, die sich einmal wöchentlich zum Klettern in der Halle, zu Pub-Besuchen und alle zwei Wochenenden zu Kletterfahrten trifft.
Neben den Societys stellten sich noch verschiedene Volunteering-Organisationen vor und es gab hier und da ein paar Veranstaltungen. Unter anderen traf ich eine Studentin, die ein Jahr nach mir an meiner Schule in Erfurt Abitur gemacht hatte, an einem „Protect Education“-Infostand. Sie engagiert sich mit anderen Studierenden gegen die zunehmende Privatisierung ueeend Kommerzialisierung der höheren Bildung im Vereinigten Königreich. Ein Studium an einer britischen Universität ist nicht billig, bisher gibt es aber sehr günstige Kredite vom Staat, die man erst ab einem gewissen Jahreseinkommen zurückzahlen muss. Die Regierung möchte diese Kredite nun privatisieren was auch bedeuten kann, dass sich Konditionen für laufenden Kredite rückwirkend ändern. Ich werde, auch im Hinblick auf Debatte um Studiengebühren in Deutschland, in einem zukünftigen Blogpost mal schildern, in wie fern die Qualität des Studiums durch letztere verbessert wird.
Das Finale eine interessanten Wettbewerbs fand am Freitag Nachmittag in der Aston Webb Great Hall statt: Doktoranden sollten das Thema ihrer Arbeit in 3 Minuten präsentieren. Dadurch wurden Themen aus allen Disziplinen sehr leicht verständlich erklärt und motiviert.
Freitag Abend war ich mit Andrea und Rudi zunächst in „The Soak“, einem Pub um die Ecke, wo wir uns mit anderen Erasmusstudierenden trafen, um später zum „Sugar Suite“ ins Zentrum zu fahren. In diesem Club fand eine Party für Internationale Studenten statt, zu welcher der Eintritt bis 24:00 Uhr frei war, was wir nach längeren Warten in der Schlange auch gerade noch schafften. Die Athmosphäre war ganz in Ordnung, Gin Tonic billiger als Bier und der DJ bisweilen schlecht. Wer mich kennt, weiß dass meine Besuch in Clubs wohl an einer Hand abzählbar sind, so dass diese Art von Feierkultur für mich doch etwas neu ist. Als DJ macht man offenbar nicht viel verkehrt, wenn man einfach Lieder der letzten 20 Jahre spielt die jeder (außer mir) auswendig kennt, und bei entsprechenden Alkoholpegel gerne mitsingt. Da der ÖPNV leider nur bis etwa 0:00 Uhr und dann erst wieder ab 4:00 Uhr unterwegs ist, nahmen wir Rückzu ein Taxi. Diese sind, wenn voll besetzt, auch nicht teurer als die Einzelpreise mit Bus oder Bahn. Die anderen aßen noch bei Dixi Chicken Frittierte Hühnerkadaver mit Pommes, während ich nur pappige Pommes verzehrte. Danach war Feierabend.
Am Samstag lief folglich auch nicht sehr viel, ich bastelte meinen Stundenplan.
Wie ihr sehen könnt beginnen die Vorlesungen für deutsche Verhältnisse spät (9:00 Uhr) und dauern auch nur etwa 50 Minuten. Auch sonst war das Wochenende eher ruhig: Am Sonntag war ich mit Andrea bei der Weoley Castle Ruine, die leider nur besichtigt aber wegen eines Zauns nicht betreten werden konnte.
Am Montag fand nun endlich erste Vorlesung statt: Advanced Topics in Combinatorics. Es wird zunächst um Ramseytheorie gehen. In der Bibliothek habe ich noch das zugehörige Buch besorgt und in der freien Zeit die Vorlesung nachgearbeitet. In diesem Feld wird viel mit dem Taubenschlag bzw. Schubfachprinzip für unendliche Mengen argumentiert, welches besagt, dass wenn man undendliche viele Tauben in endlich viele Plätze im Schlag verteilt, in mindestens einem undendlich viele Tauben sein müssen. (Bekannter ist die endliche Anwendung, die als Aufgabe wie folgt lautet: „Quatiere n+1 Tauben in n Plätze so ein, dass jede Taube einen Platz findet, aber an keinem Platz zwei Tauben sind.“ Das ist sehr einfach als aussagenlogische Formel aufschreibbar und die für einen Menschen offensichtliche Unlösbarkeit bereitet selbst modernen SAT-Solvern Probleme.)
Am Nachmittag hatte ich noch eine Vorlesung in Compilers & Languages, wo es um Compilertheorie gehen wird. Compiler sind Programme die Programmcode einer Programmiersprache in ein auf ein Computer ausführbares Programm übersetzen. Eine prominente Compilersammlung ist die Gnu Compiler Collection, welche freie Software ist und darüber hinauß sehr mächtige Entwicklungswerkzeuge wie den Gnu Debugger mitbringt.
Am Abend saßen wir noch im Haus zusammen, tranken „Carling“, ein wohlschmeckendes englisches Lager und plauderten eine Weile, bis wir uns recht früh zum Schlafen zurückzogen.
Dienstag ist einer von zwei Tagen, an denen es für mich schon 10:00 Uhr losgeht — zum Glück muss ich nie zu so einer „unmenschlichen Zeit“, wie die Briten es nennen, wie um 9:00 Uhr in der Uni sein. Ich hatte Principles of Programming Languages, hier wird es um die Theorie hinter Programmiersprachen gehen. Besonders diese Vorlesung hat das Potential sehr gut zu werden, da das Gebiet der Forschungsschwerpunkt der theoretischen Informatiker an der Fakultät ist. Gleich zu Beginn sagte Prof. Reddy, dass er es mit dem Lambda-Kalkül nicht übertreiben, sondern die Vorlesung praxisnah gestalten wird. In Dresden sind die theoretischen Vorlesungen meist wirklich sehr theoretisch, den Lamda-Kalkül haben wir so z.B. schon im zweiten Semester recht ausführlich behandelt. Erfreulicherweise wird als Beispielsprache in der Vorlesung vorallem Haskell zum Einsatz kommen.
Da es bis zur nächsten Vorlesung wieder viel Zeit gab, integrierte ich in der Zwischenzeit damit noch ein paar andere EMail-Accounts in mein Thunderbird auf den Fakultätsrechnern, so dass ich in Zukunft nicht immer mein Notebook mitschleppen. Das gleiche habe ich auch mit dem vor allem zum mobilen SIP-Telefonieren angeschafften Nokia n97 mini gemacht, was bisher leidlich funktioniert. Anschließend befasste ich mich mit Produkten und Coprodukten aus kategorientheoretischer Perspektive.
Im Keller der Fakultät gibt es einen Aufenthaltsraum, in dem dieser Roboter hin und her fährt, und wo ich zum Mittag einige Sandwiches mit Guacamole und Humus verzehrte. Diese Aufstriche kann man mit verschiedenen Toppings in den lokalen Supermärkten kaufen und sind der bisher einzige herzhafte vegane Brotbelag den ich ausfindig machte. Es gibt im Keller aber auch eine Mikrowelle, so dass ich mir in Zukunft auch Essen vom Vortag mitbringen und aufwärmen werde.
Computability und Logic war etwas enttäuschend, da zum einen nur Computability in diesem Semester behandelt werden wird und diese Inhalte schon nahezu vollständig in „Theoretische Informatik und Logik“ in Dresden behandelt wurden. Ich werde deshalb zu „Game Theory“ zu wechseln, wo ich zwar die ersten zwei Vorlesungen schon verpasst habe, was aber noch ein nachholbarer Umfang sein dürfte.
Am Mittwoch habe ich keine Vorlesungen. Ich schlief deshalb etwas länger, vertrödelte einige Zeit im Netz und nutze eine halbe Stunde für einige Übungen aus dem Kategorientheoriebuch. Gegen Mittag machte ich mich dann auf den Weg zur Uni, um zum einen den Erasmuskoordinator der Mathematiker abzupassen, was mir knapp misslang, und andererseits zur Guild of Students zu gehen, wo sich die Mountaineering Society zum Klettern traf. Es wurden Anmeldeformulare für die Kletterhalle ausgegeben und auf einen Bus gewartet, mit dem wir zum Red Point Climbing Centre fuhren. Da sich schätzungsweise 50 Leute Leute neu anmelden mussten, dauerte das Prozedere seine Zeit. Ich traf Merlin wieder und lernte unter anderem noch James und Owen kennen. Leider konnten wir nicht gleich drauf los klettern, da die Kletterhalle in Punkto Sicherheit sehr penibel ist. Im Anbetracht der Menge an Studenten, durften nur ältere Mitglieder sichern. Nächste Woche soll dann noch mal ein Sicherungskurs von der Society stattfinden und in der Woche darauf ein Abnahme durch die Kletterhalle erfolgen. Einbinden geht nur über den Achterknoten plus zusätzlichen Stopperknoten. Nach ein paar Routen begaben wir uns in den weitläufigen Boulderbereich, der Herausforderungen in allen Schwierigkeitsgraden bietet. Als wir keine Kraft mehr hatten, fuhren wir mit der Bahn zurück.
Am Donnerstag musste ich „früh“ raus, denn um 9:00 Uhr begann das Eintragen für die Kletterfahrt nächstes Wochenende an der Guild of Students, wofür nur eine limitierte Zahl an Plätzen zur Verfügung stand. Anschließend hatte ich noch eine knappe Stunde, die ich erneut der Kategorientheorie wittmete, bevor Vorlesungen in Principles of Programming Languages und Advanced Topics in Combinatorics anstanden. Ich bekam Kopfschmerzen, machte mich aber trotzdem daran den Isomorphismus zwischen A×B→C und A→(B→C) zu zeigen — eine Hausaufgabe von Prof. Reddy. Nach weiteren Vorlesungen war ich schließlich gegen 6 pm fertig, ging nach Hause, und besorgte mir auf dem Rückweg noch Lauch, Champions und Tomaten, da ich ordentlich Hunger hatte. Für den Abend war noch die Jam Session der Jazz- u. Blues-Society in Joe's Bar anberaumt.
Da eine Machine Learning Übung noch keinen Sinn machte, war die einzige Veranstaltung am Freitag die Game Theory Übung. Ich kam recht knapp im Raum an, aber der Lehrkörper blieb fern. Um den Tag doch noch irgendwie zu nutzen, ging ich also wieder in die Bibliothek und löste die Combinatorics-Hausaufgaben. Die netteste ist lautete wie folgt: Beweise, dass es für jede Folge x1, x2, ... , xn von natürlichen Zahlen Indizes s und r mit 1 <= s <= r <= n gibt, so dass die Summe von xs bis xr durch n Teilbar ist.
Am Samstag unternahm ich einen Ausflug nach Coventry, eine Stadt in der Nähe, die noch über das Verbundticket erreichbar ist. Mir war die Stadt vor allem deshalb bekannt, da sie eine Partnerstadt von Dresden ist. Im Zweiten Weltkrieg haben die Deutschen dort Bomben abgeworfen und zumindest das ganze Stadtzentrum einschließlich der Kathedrale in Schutt und Asche gelegt. Anders als in Dresden, wurde diese Kirche aber nicht wieder aufgebaut, sondern in der Ruinen-Form belassen. Eine neue Kathedrale steht nebenann und man ist in Coventry sehr um Versöhnung bemüht.
Ich ging als nächstes in den Herbert, wo verschiedene Ausstellungen zur Geschichte der Stadt, aber auch ältere und zeitgenössische Kunst zu sehen war. Bensonders ist wohl die Legende um Lady Godvin, welche ihrem Mann, dem Fürst, um Steuersenkungen für die Stadt bat. Um dies nicht tun zu müssen, forderte er als Gegenleistung, dass sie nakt durch die Stadt reitet. Sie ritt durch die Stadt, und alle Bewohner schauten anständig weg. Alle Bewohner? Nein da war auch noch Peeping Tom, welcher zur Strafe natürlich sofort mit Blindheit geschlagen werden musste.
Es gibt noch ein Verkehrmuseum, unter anderem wurde wohl das Fahrrad in Coventry erfunden, und auch Daimler hatte hier seinen ersten englischen Stützpunkt. Auch das Kanalnetz reich hierher, und es gibt eine ganz nett anzusehende Hafenanlage. In deren Nähe verkaufte die Sandy Fish Bar neben Fish and Chips auch vegetarische und vegane Fast-Food Produkte, wo ich einen Chicken Style Burger verzehrte und mich auf den Rückweg zum Bahnhof machte. Ich kam an einer sehr gentrifizierten Wohnanlage namens Electric Wharf vorbei, wobei vor allem Massiven Holzplanken im Einfahrtsbereich bemerkenswert sind.
Am Abend lag nämlich noch die Pub Crawl der Computer Science Society vor mir. Ein Pub Crawl ist eine Kneipenwanderung, sie führte uns in diesem Fall zum Bristol Pear, Urban Village, The Soak und The Goose. Anschließend ging es noch zur FAB'n'FRESH Party in die Guild of Students. Diesmal bezeichnet dieser Ausdruck das Haus der Guild of Students, welches neben einigen Verwaltungsräumen, auch einer Bar, einem kleinen Supermarkt auch Raum für vier Floors bietet. Ich verbrachte die meißte Zeit in Silent Disco, wo zwei DJs parallel auflegen, und man an einem Funkkopfhörer zwischen diesen Kanälen nach belieben wechseln kann.
Der Sonntag war dementsprechend wieder etwas lazy — ich ging nach langer Pause wieder mal Laufen: Die Route entlang des Kanals Richtung Süden ist sehr schön, später kann mit ein Naturreservoir abbiegen. Hin und Zurück sind es wohl an die 16km was für den Winter ganz passabel ist. Anschließend beeilte ich mich noch einzukaufen, da der Sainsbury's am Sonntag nur bis 16:00 Uhr geöffnet ist. Mit Pizza, Internetprokrastination und dem erfolglosen Versuch ein Java-Programm von Compilers and Languages zum Laufen zu bringen, ging auch dieser Tag zu Ende, und mit ihm auch Schilderungen dieses Posts.